Du machst das für lau, schon seit Jahren UND gerne? Ehrenamt und Pandemie

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Mensch hält ein Papp-Plakat hoch, auf dem steht: Volunteers neede - Ehrenamtliche gebraucht

pexels, Julia M Cameron: https://www.pexels.com/de-de/foto/person-festhalten-drinnen-inschrift-6994992/

Ob bei der Feuerwehr, bei den Pfadfindern, im kirchlichen Kontext, als Fußball-Trainerin oder bei der Nachbarschaftshilfe. Ehrenämter finden sich überall, unterstützen Hauptamtliche und tragen dazu bei, dass Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit gestärkt werden. Laut Linked-In Profil bin ich seit einem Jahr und acht Monaten Teil eines Vereins, der kostenlose Nachhilfe von Studierenden für Schülerinnen und Schüler ermöglicht. Wie das funktioniert und was Ehrenamt zu Pandemie-Zeiten verändern kann, lest ihr hier.

Weil’s Spaß macht

In Deutschland waren laut dem 5. Deutschen Freiwilligen Survey1 rund 28 Millionen Menschen im Jahr 2019 ehrenamtlich engagiert. Dieses Engagement reicht von Sport bis zu Musik und Kultur. Fragt man Menschen, warum sie sich ehrenamtlich engagieren, findet man eine Alters- und Geschlechtsdifferenzierung.2 Jungen Menschen scheint hierbei das Erwerben einer Qualifizierung wichtig zu sein, wohingegen ältere Menschen das Zusammenkommen mit anderen schätzen. Jedoch scheint es im Wesentlichen so zu sein, dass der Spaß an der Unterstützung anderer Menschen Ehrenamtliche antreibt.

Die gelebte Utopie: Bildung für alle

Genau dieses Gefühl habe ich auch, wenn ich wie jede Woche donnerstags um 15 Uhr einen Zoom-Raum öffne und das Latein-Buch von Lena* zur Hand nehme. Ich schreibe Aufgaben in den Chat, lasse ihr Zeit, Formen zu bilden. In dieser Zeit schalten wir unsere Kameras normalerweise beide aus. Dann lächelt mir mein eigenes Profilbild entgegen, bei Lena sieht man nur den Namen. Nach 20 Minuten schalte ich meine Kamera wieder an, frage sie, wie weit sie ist, und wir gleichen die Formen ab. Danach geht es ans Übersetzen. Heute ist die Internetverbindung sehr stabil, Bild und Ton sind klar. Damit haben wir manchmal Probleme. Zum Beispiel habe ich schon mal aus dem Zug eine Stunde halten müssen, was verbindungstechnisch leider nicht so gut geklappt hat. Man lernt. Nach der Übersetzung sind 90 Minuten vergangen. Die Sitzung endet. Ich bedanke mich, dass Lena heute so super mitgemacht hat. Bis Weihnachten haben wir alle Termine verabredet, Lenas Vater ist per Mail informiert, hat sich aber nicht bei der Terminfindung eingeklinkt. Ich habe das Gefühl, Lena hat heute viel gelernt. Sie bedankt sich, winkt und ich schließe den Zoom-Raum: „Meeting für alle beenden“. Danach stehe ich vom Sofa auf, recke mich, öffne das Fenster zum Lüften und mache mir einen Tee.

So oder so ähnlich verlaufen meine Nachhilfestunden, die über die Plattform Lern-Fair3 vermittelt werden. Dort werden Studierende mit Schülerinnen und Schülern von Mittel- bis Oberstufe gematcht. Wie bei einer Dating-Plattform geben alle Seiten Informationen über sich preis und der Algorithmus findet das „Perfect Match“. Nur, dass es hier nicht um den perfekten Partner fürs Leben geht, sondern um Bildung. Vielleicht also so etwas wie die Suche nach dem perfekten Lernbuddy.

Die Schülerinnen und Schüler, mit denen ich bislang zusammengearbeitet habe, wollten jede Woche eine Stunde an ihren Hausaufgaben arbeiten, etwas von mir erklärt bekommen und auch darüber reden, wie stressig der Corona-Alltag auch (oder gerade?) für sie als Schülerinnen und Schüler ist.

Fernab davon, dass wir uns nur online sehen, sind viele Aspekte ähnlich zur Nachhilfe vor Ort: Manchmal hat die Schülerin oder der Schüler keine Lust. Manchmal müssen wir mehrfach Termine verschieben, manchmal kommt jemand zu spät. Solche Dinge passieren auch online und machen die Online-Nachhilfe sogar manchmal etwas nahbarer. Die längste Zeit, die ich bislang eine Schülerin begleitet habe, war fast ein Jahr.

Warum ich das mache? Weil ich das Gefühl habe, etwas Wertvolles weiterzugeben, den Schülerinnen und Schülern ein Stück ihres Weges zu erleichtern, um Eltern eine Stunde pro Woche ihrer Erklärarbeit über den täglichen Hausaufgaben abzunehmen.

Man spendet auf diese Weise keine Medikamente oder Kleidung. Man spendet ein anderes wertvolles Gut: Zeit. Und nutzt diese zur Wissensvermittlung.

Was ich mir wünschen würde? Dass noch mehr engagierte junge Menschen eine Stunde ihrer Zeit in der Woche in ein solches Projekt stecken. Es muss nicht genau dieses sein4,5, aber ich möchte die Botschaft vermitteln, dass es eine sehr sinnvolle Beschäftigung ist, mit Anderen das eigene Wissen und die eigene Zeit zu teilen. Meistens geht es aber um noch mehr. Es geht darum, etwas, das man selbst erfahren hat, anderen Menschen in ähnlicher Form weiterzugeben – auch in einer Pandemie6: Das Gefühl von Solidarität, des Zusammenstehens und dass man eine Mentorin oder ein Mentor für jemanden sein oder werden kann. Das erfüllt in meinen Augen zurecht mit Stolz.

*Name geändert

Quellenverzeichnis

1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/presse/pressemitteilungen/zahlen-daten-fakten-zur-entwicklung-des-freiwilligen-engagements-in-deutschland–176840

2 https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/73538/ssoar-2021-arriagada_et_al-Motive_fur_freiwilliges_Engagement_Beendigungsgrunde.pdf?sequence=1&isAllowed=y&lnkname=ssoar-2021-arriagada_et_al-Motive_fur_freiwilliges_Engagement_Beendigungsgrunde.pdf

3 https://www.lern-fair.de

4 https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/ehrenamt-in-corona-pandemie-1745788

5 https://www.caritas.de/magazin/schwerpunkt/corona/wie-kann-ich-jetzt-helfen-nachbarschafts

6 https://www.br.de/nachrichten/bayern/bilanz-so-steht-es-in-der-corona-pandemie-um-das-ehrenamt,SqSkOsN

26 Jahre alt, Studentin

Ich bin Berit, 23 und studiere derzeit im Master Psychologie an der Universität Zürich in der Schweiz. Ich möchte Kognitionsforscherin werden. Seit Jahren bin ich ehrenamtlich in verschiedenen Bildungsstartups engagiert. Mich treibt um, wie gute Bildung funktioniert, was besser gemacht werden kann und welchen Beitrag ehrenamtliches Engagement leisten kann.

Berit Barthelmes / Gastautorin

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